Pflichtteilsergänzung
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen des Erblassers ist in § 2325 BGB geregelt. Er ist ein herausragend wichtiges Instrument in erbrechtlichen Streitigkeiten, weil hiermit eine Umgehung des ordentlichen Pflichtteils verhindert werden soll, indem die Schenkungen des Erblassers dem Nachlass hinzugerechnet werden. Gleichwohl muss die Freiheit des Erblassers – zu tun und zu lassen, was er will – respektiert werden, weshalb die Pflichtteilsergänzung sachlichen und zeitlichen Grenzen unterworfen ist.
Zur Ergänzung des Pflichtteils sind die gleichen Personen berechtigt, die gem. § 2303 BGB den Pflichtteil verlangen können, also – in gewisser Rangfolge – die Abkömmlinge (Kinder, Enkel, …), die Eltern und der Ehegatte sowie der eingetragene Lebenspartner des Erblassers. Allerdings ist die Pflichtteilsergänzung vom Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs unabhängig. Das bedeutet, der Anspruch steht auch einem Erben oder demjenigen zu, der die Erbschaft ausgeschlagen hat.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch bildet zusammen mit dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch den sog. „Gesamtpflichtteil“. Bei der Nachlassauseinandersetzung sollten Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten daher niemals unberücksichtigt bleiben.
Der Pflichtteilsergänzung unterliegen in erster Linie Schenkungen, nicht aber Anstands- und Pflichtschenkungen des Erblassers (etwa angemessene Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke). An dieser Stelle sind in der Praxis oftmals sog. Übergabeverträge anzutreffen, bei denen durch vertragliches Geschick die unerwünschten Rechte von Verwandten ausgeschlossen werden sollen. Gemischte Schenkungen, insbesondere solche mit auffallend grobem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, und sog. „verschleierte Schenkungen“ müssen jedoch nicht tatenlos hingenommen werden.
Eine zeitliche Beschränkung bei der Berücksichtigung von Schenkungen ergibt sich allerdings aus § 2325 Abs. 3 BGB. Danach sind Schenkungen, die zehn oder mehr Jahre zurückliegen, grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen, sofern es sich nicht um Schenkungen unter Ehegatten oder Lebenspartnern handelt. Innerhalb der 10-Jahresfrist wird die Schenkung zudem sukzessive „abgeschmolzen“, d.h. mit Ablauf jeden Jahres mit 10% weniger berücksichtigt.
Hiermit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass eine Schenkung, je näher sie dem Erbfall rückt, wirtschaftlich gesehen in den Nachlass gehört. Die bloße Unterscheidung danach, ob eine Zuwendung zu Lebzeiten (als Schenkung) oder nach dem Tod (durch Testament) erfolgt, wäre nicht sachgerecht.
Deshalb gewährt die Rechtsprechung die Abschmelzung und den Beginn der 10-Jahresfrist auch dann nicht, wenn die Schenkung – etwa einer Immobilie durch Übergabevertrag – unter Vorbehalt eines Nießbrauchs oder umfangreichen Wohnungsrechts geschieht. In diesen Fällen ist der „geschenkte“ Gegenstand wirtschaftlich noch im Vermögen des Erblassers vorhanden, sodass die Vermögensverschiebung uneingeschränkt berücksichtigt werden muss.
Das „Abschmelzungsmodell“ und die 10-Jahresfrist gelten ebenfalls nicht für Eigengeschenke, also selbst vom Erblasser erhaltene Zuwendungen. Bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs werden Eigengeschenke berücksichtigt und in voller Höhe (!) vom Ergänzungsanspruch abgezogen – Eine hervorragende Verteidigungsmöglichkeit!
Weil sich die Qualifikation von Rechtsgeschäften des Erblassers als Schenkung und die sich daran anschließenden Überlegungen zum Leistungszeitpunkt als rechtlich höchst anspruchsvoll erweisen, sollten Sie im Falle entsprechender Anhaltspunkte bei der Geltendmachung Ihrer Pflichtteil- und Pflichtteilsergänzungsansprüche anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen. Umgekehrt hilft Ihnen unsere rechtliche Einschätzung dabei, unberechtigte Ansprüche gegen den Nachlass abzuwehren.
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